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Wie die Manager Deutschlands echten Fortschritt verhindern


Die deutsche Wirtschaft schafft es nicht, neue Trends zu erkennen und für sich zu nutzen. Ganz anders Tesla-Boss Elon Musk, ein avantgardistischer Disruptor. Buchautor Thomas Sattelberger zeigt, was sich bei uns ändern muss.

Sattelberger arbeitete als Topmanager in großen Konzernen. Er gilt als Erfinder zahlreicher innovativer personalpolitischer Maßnahmen. Daneben schrieb er Fachbücher.

Sattelberger war von Oktober 2017 bis August 2022 für die FDP Mitglied des Deutschen Bundestages. Einige Monate bekleidete er das Amt eines Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Hier Auszüge aus seinem ganz neuen Werk „Radikal neu“ - Gegen Mittelmaß und Abstieg in Politik und Wirtschaft (Anzeige) :

Deutsche Unternehmen: im Status quo verhaftet

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Viele deutsche Unternehmen sind heute hocheffizient und vernarrt in ihre erhaltenden Technologien. Doch Effizienz muss gerade in Zeiten disruptiver Veränderung in Balance stehen mit Innovationsfähigkeit und zum Nutzen disruptiver Technologien. Deutsche Automanager sind dabei – auch nach Dieselgate – der Ausbund an Prozessoptimierung weltweit. Elon Musks Tesla-Feldzug haben sie darüber erst kaum wahrgenommen und danach als US-amerikanisches Start-up abgetan.

Viel zu spät wurde Tesla als echter Konkurrent erkannt, hinter dem kein dahergelaufener, kiffender Strolch steckt, sondern ein avantgardistischer Disruptor.

Am 8. November 2019 ließ sich der damalige Siemens -Chef Joe Kaeser zu diesem Tweet hinreißen: „Amüsante Meinungsbildung in unserem Land: Wenn ein deutscher Vorstands-Chef proaktiv sein Unternehmen auf die Zukunft ausrichtet, gilt er als ›pathetisch‹ oder ›philosophisch‹. Wenn ein kiffender Kollege in USA von Peterchens’ Mondfahrt spricht, ist er ein bestaunter Visionär."

Ob Elon Musk nun an Joints zieht oder nicht: Es gehört ein Übermaß an Abgehobenheit dazu, sich als mäßig erfolgreiches Konzerngewächs in eine Reihe zu stellen mit einem hocherfolgreichen internationalen Seriengründer. SpaceX ist nicht Elonchens Mondfahrt, sondern ein Multimilliarden-Dollar-Unternehmen, das sich gerade auf eine Mars-Expedition vorbereitet. Während Musk immer neue Werte schafft, hat Joe Kaeser Siemens nur filetiert und zerschlagen.

Allen voran alteingessene deutsche Traditionsunternehmen dürfen heute nicht mehr allein auf ihre durchrationalisierten Effizienzmaschinen für das laufende Geschäft setzen. Sie müssen daneben Innovationswerkstätten für künftiges Geschäft betreiben! Deutschlands Automobilunternehmen hätten längst Freiräume schaffen müssen für autonomes Fahren, digitales Entertainment und innovative Antriebstechnik. Jetzt ist die Aufholjagd mühsam. Der chinesische Autokonzern BYD hat VW in China (dem wichtigsten globalen Automarkt) um Längen überholt. BYD verkauft dort derzeit 15 Mal so viele Elektroautos wie Volkswagen. Und weltweit steht BYD bei Elektroautos auf Platz 2 hinter Pionier Tesla, während VW auf Platz 4 abgestiegen ist.

Ein klassisches Beispiel dafür, wie wichtig Ambidextre ist, also die Zweihändigkeit in der Unternehmensführung. Zum einen muss man das auf Effizienz und Margen getrimmte laufende Geschäft „auslutschen“. Zum anderen muss man sich, finanziert vom laufenden Geschäft, in unbekannten Territorien neugierig ausprobieren, um auch übermorgen erfolgreich zu sein.

In den Strukturen alter Geschäftsmodelle Innovationen zu entwickeln, wird nur schwer gelingen. Das Immunsystem des Alten stößt das Neue ab. Deshalb hatte BMW die damalige Entwicklung des i3 komplett abgetrennt (nicht nur von den Betriebs- und Administrationsabläufen der Verbrenner, sondern auch von alter Führungsstruktur und -kultur) und gleich dazu ein neues Souveränitätsmodell entwickelt für Arbeitszeit und -ort. Aus demselben Grund hat Nestlé Nespresso ausgegründet. Innovation sollte nicht von den alten Strukturen bei Nestlé im Keim erstickt werden. Und so entstand auch T-Mobile auf dem anderen Rheinufer gegenüber der alten Telekom.

Es gibt jedoch gar nicht so viele Beispiele für gelungene Transformation hierzulande: Der alten Preussag gelang es, sich vom Kohle- und Metallkonzern zum allerdings fragilen Touristikkonzern TUI zu wandeln.

Der Rohrwalzkonzern Mannesmann verpuppte sich und schlüpfte als Telekommunikationsanbieter und spätere deutsche Tochter von Vodafone. Daimlers einstige Vision eines integrierten Technologiekonzerns hingegen scheiterte am Ende.

Diese drei Beispiele fußen überwiegend auf Zu- und Verkäufen. Um sich zu wandeln, trennte sich die Preussag von ihren industriellen Beteiligungen (deren Umsätze 1997 noch rund 93 Prozent der Gesamterlöse ausmachten) und konzentrierte sich auf Reisegeschäft und Schifffahrt. Bei Mannesmann trennte man sich ebenfalls vom traditionellen Industriegeschäft und baute die Mobiltelefonie-Sparte aus: D2. Daimler hingegen kaufte AEG, Messerschmitt-Bölkow-Blohm, Dornier und den MAN-Anteil an der MTU München/Friedrichshafen.

Ich will aber nicht nur über Konzerne sprechen. Gerade an der Spitze altehrwürdiger Familienunternehmen reicht es nicht mehr, das laufende Geschäft gemütlich zu verwalten. Revolution ist nötig bei den Henkels, Schäfflers, Knorr-Bremse-Thiels, bei den Wackers, Haniels und den Heraeusens. Sie alle müssen ihre früher erfolgreichen Denkroutinen durchbrechen. Gelingt ihnen das nicht, wird die Digitalisierung ihre Unternehmen fluten.

Mangelt es etablierter Wirtschaft an Transformation, so lässt sich dies teils kompensieren, wenn schnell neue Ökonomie entsteht. Gelingen aber wird das nur, wenn der volkswirtschaftliche Lebenszyklus intakt ist: Idee, Gründung, Skalierung, Expansion zum Konzern, Zenit, Stagnation, Niedergang und Exit. Der deutsche Zyklus ist gestört. Die alten Konzerne vegetieren profitabel, aber innovationsarm vor sich hin.

Wenige Hidden Champions wachsen nach. Unter Deutschlands Hidden Champions ist nur ein Zehntel jünger als 60 Jahre. Die meisten unserer mittelständischen Weltmarktführer wurden vor 1950 gegründet. Zwei Drittel sind in Traditionsbranchen tätig.

Ruhm und Ehre sei allen unbenommen! Doch Deutschlands Lorbeeren sind durchgesessen. Professor Hermann Simon hat 1990 den Begriff der Hidden Champions erfunden und immer von deren Kraft geschwärmt. In seinem 2021 erschienenen Buch Hidden Champion. Die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert sorgt er sich um Deutschlands sinkende Wettbewerbsfähigkeit. Laut Simon könne es „wenig Zweifel geben, dass die Chinesen zu den schärfsten Konkurrenten der deutschen Hidden Champions werden“.

Auf den Feldern Finanzierung, Digitalisierung, Qualifikation zum Beispiel liegt China mittlerweile vorne. Und auch Tech-Gründungen sind rar. Vor allem bei forschungsgetriebenen High-Tech- und Depp-Tech-Ausgründungen erleben wir Tiefststände. Aus ihnen müssten eigentlich die Hidden Champions der Zukunft erwachsen.

Disruptiver Wandel zwingt Systeme, sich für Disruptoren zu öffnen

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Beim disruptiven Wandel ist die Transformation des gesamten Systems gefragt. Hier reicht es nicht mehr, ein nach innen gerichteter Manager einer puffernden Unternehmung zu sein oder expansionistischer Treiber einer grenzenlosen Organisation. Hier muss man als Führender die gesamte organisatorische Transformationsfähigkeit unter Beweis stellen – und die eigene Ambidextrie-Kompetenz.

Doch Deutschlands Managerwelt ist in hohem Maße geprägt von homosozialer Reproduktion: 80 Prozent der Vorstandsmitglieder haben nie die Branche gewechselt, 60 Prozent nie das Unternehmen. Ich nenne das Karriere im Silo. So weit verbreitet solche Reproduktion ist, so wenig zuträglich ist sie einem Erfahrungsportfolio, auf das Managerinnen und Manager in disruptiven Zeiten angewiesen sind. Junge Menschen sollten deshalb in ihre Lehr- und Wanderjahre Diversity einbauen – ganz egal, welche Mission und Ziele sie für ihre Zukunft haben. Nicht in römischer Dekadenz ein Gap Year machen, sondern Erfahrungen sammeln: egal, ob in NGOs, bei der Caritas, in einem Bundestagsbüro oder bei einem Mittelständler.

Eine McKinsey-Studie hat einmal herausgearbeitet: Rekrutiert ein Unternehmen für Krisen- und Umbruchsaufgaben von außen, führt das meist zu besseren Ergebnissen als bei Besetzungen aus dem eigenen Stall. In der Minorität der Fälle, in denen es schiefgeht, scheitern die extern Rekrutierten allerdings deutlich krachender als die internen. Dieses dosierte Wagnis würde ich gleichwohl so gut wie immer eingehen! Wer wirklich Veränderung will, muss erfahrene Disruptoren und Transformatoren an Bord holen, zumindest eine kritische Masse. Ich plädiere immer und überall für Quereinstiege.  Auch René Obermann zum Beispiel war Quereinsteiger und förderte selbst welche. Getreu der Devise „Right people on the bus, wrong people off the bus“ wusste er: Transformation darf man nicht sich selbst überlassen, sondern man muss sie vorleben, führen und personell richtig ausstatten.

 

Ein Uraltgewächs der BMW AG sagte mir einmal, dass seine Firma ihre besonders tyrannischen Managerbestien in der Regel gewähren ließe bis kurz vor dem Vorstandsvorsitz. Bevor sie nach der vollen Macht greifen könnten, reiche man sie dann lieber zu Volkswagen weiter. Er meinte damit zum Beispiel Herbert Diess. Der ehemalige BMW-Vorstand stand von 2018 bis 2022 an der Spitze von VW. Bestie zu sein reicht aber nicht, um Konzerne fit zu machen für die Zukunft.

Diessens Nachfolger Oliver Blume stutzt jetzt bei Volkswagen das Radikalexperiment eines digitalisierten Konzerns zurück auf Normalmaß und pflegt die geschundenen Seelen der Arbeitnehmervertreter, die unter Diess litten (und sich das teuer bezahlen ließen). Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Blume wieder von einem harten Brocken an der Volkswagenspitze ersetzt werden wird. Womöglich einem aus München?

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer hat in seinem Artikel „Wie BMW langsam VW übernimmt“ im Dezember 2021 diese Dialektik nicht verstanden. Damals besetzten ehemalige BMW-Manager die Hälfte der Wolfsburger Chefsessel. Aber es war eben nur eine Phase. Ziesemer hat nicht begriffen, dass bei Volkswagen auf einen „bösen“ BMWler immer ein „guter“ VW-Manager mit Wolfsburger Stallgeruch folgt.

Sie merken hoffentlich, dass ich bei diesen Sätzen eifrig zwinkere. Im Ernst: Spannend bleibt die Frage, wie viel culture misfit möglich oder tödlich ist, wenn es um das berufliche Überleben geht. Und das gilt nicht nur für Topmanager, sondern für jede Menge relevante Unternehmensposten, auch Direktoren, Abteilungsleiter und Experten.

Der Organisationsforscher Karl E. Weick hat sich immer wieder mit dem Verhalten von Führungskräften in Krisensituationen befasst. In den 1990er Jahren untersuchte er, warum so viele Feuerwehrleute bei verheerenden Waldbränden in Colorado ums Leben kamen.

Zuerst verblüffte ihn, dass Feuerwehrleute oft nicht schnell genug vor den sich ausbreitenden Feuerstürmen davonrennen konnten. In Tiefeninterviews fand er dann heraus, dass sie sich von ihrer schweren Ausrüstung selbst auf der Flucht nie trennen: Sie ist Teil ihrer professionellen Identität. Aus dieser Erkenntnis, dass berufliches Handwerkszeug mit der Identität des Individuums verschmilzt, entwickelte Weick den Slogan “Drop your tools!“ als Ratschlag für Manager in Krisenzeiten: Schmeißt euer altes Handwerkszeug weg!

Wer schon einmal in anderen Zusammenhängen altes Handwerkszeug wegwerfen musste, dem fällt dies von Mal zu Mal leichter. Mancher kommt sogar gänzlich ohne Rucksack in ein neues Unternehmen. Und genau solche Disruptoren und Rebellen brauchen wir an der Spitze und in der Fläche.

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Author: Amber Reid

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Name: Amber Reid

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